Stilistische Untersuchungen am Klavierwerk Theodor Kirchners
Kyung-Sun Lee
Oktober 1998
Theodor Kirchner (1823-1903) komponierte fast ausschließlich für
Klavier, das Instrument des 19. Jahrhunderts, und hinterließ so über
1000 lyrische Klavierstücke. Sie wurden bis jetzt ohne weiteres als
Nachahmungen Schumannscher Werke abgetan. (Wahrscheinlich ist dies auf
seine offenkundige und unveränderte Schumann-Verehrung seit
seiner Jugend zurückzuführen.) Durch die Werkanalyse wird deutlich,
daß sich die Klavierstücke Kirchners von den Schumannschen in
gestalterischer Hinsicht grundsätzlich unterscheiden, trotz ihrer
scheinbaren Ähnlichkeiten in Klangfarbe und Notenbild. Die Besonderheit
seiner Miniaturstücke liegt vor allem darin, daß die Themen
der Formenteile in hohem Maße durchstrukturiert werden. In dieser
komprimierten Ausdrucksweise lassen sich die Klavierkompositionen Kirchners
sogar als Vorläufer der späten lyrischen Klavierstücke von
Brahms einstufen, mit dem er zeit seines Lebens in tiefer Freundschaft
verbunden war.